Mittwoch, 15. Juni 2011

150 Jahre Eisenbahnanschluss Wannweil - 1861-2011 - Der Bahnhof Wannweil und die Fotografie

Warum gibt es aus der Frühzeit der Eisenbahn so wenig fotografische Zeugnisse? Der bekannte Tübinger Fotograf Paul Sinner (1838 bis 1925) kam schon um 1870 auch nach Wannweil. Auf die Idee, den Bahnhof Wannweil-Kirchentellinsfurt zu fotografieren, wäre er nie gekommen. Sinner interessierte die romanische Dorfkirche im Originalzustand, sowie die alten Bauernhäuser und die Wannweiler Tracht. Alles ist 2011 nicht mehr in dem Zustand vorhanden, wie es Sinner fotografierte. Sinners Teilnachlass wird 2011 im Stadtarchiv Tübingen aufbewahrt.

Dass die Neckartalbahn eine bislang unbekannte neue Mobilität ermöglichte, begannen die Zeitgenossen erst langsam zu begreifen. Zu Wannweil hat Ludwig Uhland eine besondere Beziehung, indem er der Gemeinde am 21.04.1832 ein Darlehen über 3000 Gulden gewährte (Reproduktion des Schuldscheins im Gemeindearchiv). Allein eine Reise nach Stuttgart hatte, wie von Ludwig Uhland des öfteren in seinen Tagebüchern beschrieben, in der bahnlosen Zeit einen ganzen Tag gedauert - per Pedes auf der historischen Schweizerstraße durch den Schönbuch über Dettenhausen, Waldenbuch über Echterdingen und Degerloch. Retour bedurfte es eines weiteren Tagesmarsches.

Um 1910 fotografierte der Metz-Verlag Tübingen mit seinen großformatigen Plattenkameras seine Ansichtskarten in Wannweil. Die Bahnanlagen - ab 1906 zweigleisig- waren nur durch Zufall abgebildet. (Bildband 1 von 1984, Seite 16) Die beiden Bahnwärterhäuschen - 1861 im "Chalet-Stil"errichtet - gehören im Jubiläumsjahr zu den ältesten Häusern Wannweils. Sie blieben in den äußeren Umrissen 150 Jahre lang unverändert. (Le chalet französisch, die Berghütte).

In den 1930er Jahren machte der Bahnhofswirt Wilhelm Narr Werbung mit Ansichtskarten für seine Bahnhofs-Restauration. Dabei ist das Bahnhofsgebäude nur beiläufig mit abgebildet
(siehe Wannweil Bildband 1, von 1984, Seite 55). Die im April 1945 gesprengte Bahnbrücke hat auch niemand fotografiert, auch den Wiederaufbau nicht. Die Menschen hatten damals andere Alltagssorgen.
Den Bahnhof, die Lokomotiven, Triebwagen und Waggons, die tägliche Fahrt zur Arbeit nach Reutlingen oder Stuttgart, nehmen die Menschen bis heute als unbedeutende Objektivariationen und als notgedrungene Verrichtungen im Alltag wahr. Die Veränderungen im vertrauten Umfeld fallen zwar auf, aber nach kurzer Zeit gewöhnt man sich daran. Der Alltag erscheint in den wenigsten Fällen als kamerawürdig.

Botho Walldorf, unter Verwendung eines Katalogtextes von Urich Hägele "Schwelle zur Moderne-150 Jahre Eisenbahn in Tübingen", 2011



Bauplan der Station Wannweil zur Erweiterung des Verwaltungsgebäudes, 1913, kolorierte Zeichnung im Gemeindearchiv.

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