Anläßlich des 30-jährigen Bestehens der Jugendfeuerwehr Wannweil konnten auch Normalbürger mal wieder einen Blick von der Drehleiter werfen am Sonntag, den 29. Mai 2011. Jeder Blick von einem ungewöhnlichen, erhöhten Standpunkt wird ortsgeschichtlich interessant. In diesem Falle ist es besonders bedeutsam.
Hatte der Gemeinderat doch vor wenigen Tagen beschlossen, das Feuerwehrgerätehaus zu verlegen ins Gewerbegebiet in der Robert Bosch Straße. Es zeigt auch, wie schnell kommunale Gebäude veralten. 1974 pries der damals junge Bürgermeister R. Scherret in seiner Bürgermeister-Wahlkampf-Broschüre die gute Unterbringung der Wannweiler Feuerwehr. Bekanntlich beherbergte das alte Rathaus, welches von 1839 bis 1996 existierte, auch das "Spritzenmagazin". Der Blick von der Drehleiter war am 29. Mai 2011 unter dem Gesichtspunkt, was sich dort in Zukunft verändern wird, besonders bedeutsam. An den Dachneigungen und den verschiedenen Dachziegeln konnte man beim "Drehleiter-Flying" die Entwicklung der Gemeinde studieren. Man sieht auch, das die Architekten immer nur das bauen, was in ihrer Zeit gerade "in" ist.
Die in den 1970er Jahren oft gebauten Flachdächer nehmen wieder ab und rote Ziegeldächer werden wieder mehr. Wenn man sich an die alten Ortspläne erinnert, der älteste stammt etwa von 1827, kann man von der Drehleiter erkennen, dass sich die bauliche Erschließung anhand des vorhandenen historischen Feldwegenetzes entwickelte. Einen großen Eingriff in die bis dahin fast unberührte Talaue der Echaz war der Bahnbau von 1861, der das Erscheinungsbild Wannweils bis heute prägt. Schade, daß man vor 1948 keine Fotos wie beim "Drehleiter-Flying" machen konnte, als der Firstbach noch durch das Grieß floß und die Obere Mühle eine Insel bildete.
Bis in die 1950er Jahre waren fast alle Flächen landwirtschaftlich genutzt (Wässerwiesen, Krautländer, Kiesgrube). Unvorstellbar war den damaligen Zeitgenossen, dass daraus einmal Sportplätze, Spielplätze oder stets zu wenige Parkplätze werden könnten. Die Eigenversorgung mit Gemüse spielte in jener Zeit noch eine große Rolle. Der Blick schweift weiter zu den ausgedienten Fabrikanlagen der Spinnerei. Die Wasserkraft der Echaz nutzen die Fabrikanten Seemann und Hartmann, die 1891 zwei Kirchenfenster in der Pfarrkirche St. Johannes der Täufer stifteten, die auch 2011 den sich stets verändernden Zeitgeschmack überdauert haben. 1987 wurde die Spinnerei geschlossen. Die Fabrikhalle ist 2011 leerstehend, nachdem sie von der Firma Holy in Metzingen als Lager genutzt worden war. Abriß und Wohnbebauung ist angedacht.
Die Namensgebung der neu erschlossenen Straßen lief im üblichen Schema ab. Schiller, Goethe und Robert Bosch sind ja anerkannte Größen der deutschen Geschichte. Da gibt es bei der Namensgebung keine Probleme. Vorschnell waren in anderen Orten nach 1933 Straßen und Plätze nach Adolf Hitler (1889 bis 1945) benannt worden. Bei jedem Betriebsjubiläum (2011 besteht die Firma Bosch 125 Jahre) sorgt die Presseabteilung des Konzerns für die Weitergabe des "Mythos Bosch" in die Zukunft. Zu seinen Lebzeiten war Robert Bosch (1861 bis 1942) auch eine umstrittene Persönlichkeit.
Die um 1968 erbaute katholische Filialkapelle St. Michael in der Tulpenstraße erinnert an den Zuzug von Katholiken aus dem rumänischen Banat. Michael bedeutet "Der ist wie Gott". Der Grundstein trägt leider keine Jahreszahl, wie am 31.05.2011 recherchiert wurde. In die architektonische Gestaltung des Sakralbaus konnte die Neuorientierung der römischen Weltkirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 bis 1965) einfließen.
Den Feuerwehrleuten bleibt zu wünschen, das ihnen im geplanten Neubau auch Platz für unter Kommandant Günter Niemeyer gesammelten historischen Gerätschaften bleibt. Bekanntlich war Niemeyer 1927 in Halle geboren, wie sein Alterskollege der langjährige Außenminister Hans-Dietrich Genscher. 1988 ist er von Wannweil weggezogen. Er starb im 82. Lebensjahr in Eningen u.A. im Jahre 2009. Im Gemeindearchiv hat sich die von Niemeyer von 1970 bis 1985 geführte Zeitungs-Ausschnitt-Sammlung erhalten (Aufbewahrt im Rollregal Nr. 4) Die Feuerwehrfahne von 1808, auf abenteuerliche Weise in unsere Zeit gerettet und im Ortskalender von 1989 veröffentlicht, gehört ja zu den ältesten Gegenständen Wannweiler Geschichte.
Wannweiler Geschichte ist selbstverständlich nicht als Erbhof einiger alteingesessener, dem Protestantismus zugehörigen Familien zu betrachten. Es kann zur Geschichtsschreibung eigentlich jeder interessierte Bürger etwas beitragen.
Botho Walldorf