Samstag, 16. November 2013

Wannweiler Geschichte(n) „Fremde Heimat Deutschland“ - heute Ali Alpaslan


Wannweiler Geschichte(n) „Fremde Heimat Deutschland“
Zeitzeugen erzählten, wie sie in den 1960er Jahren als „Gastarbeiter“ nach Deutschland kamen und hier eine neue Heimat fanden“. Im Folgenden erzählt Ali Alpaslan aus der Türkei , wie er zum Hausbesitzer in Wannweil wurde. Zwei weitere türkische  Mitbürger sollen in weiteren Berichten zu Wort kommen.


Zu dieser bestens besuchten Veranstaltung  Anfang November 2013 hatten die Gemeindebücherei, der Krankenpflegeverein eingeladen in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis interkulturelle Begegnung und dem Wannweiler BILDERTANZ.
Zur Kontaktaufnahme bei den türkischen Mitbürgern trug vor allem Ladenbesitzer Dikme aus der Dorfstraße bei. Er hat um 2005 einen Geschäftshaus-Neubau anstelle eines giebelständigen Wohn- und Ölonomiegebäudes errichtet.
H. Petersen erinnerte an das erste Anwerbeabkommen 1955 mit Italien, dem 1961 eines mit der Türkei folgte.
Die „special guests“ waren 4 Gastarbeiter: eine Italienerin und drei Türken.
Alle Interviews wurden digital aufgezeichnet und die Zeitzeugen auch fotografiert. Das Projekt, den Heimatfilm von 1962 zu aktualisieren , wird immer noch weiter verfolgt. Dann ist das Vorhandensein dieser digitalen Bild- und Textdateien hilfreich.

Ali Alpaslan ist 1949 in der Türkei geboren. Er begann 1973 auf einer Baustelle, um Geld zum Abschluss seiner Schulbildung zu sparen. Mit einer Ausbildung hat man es immer leichter, meinte er. Anfangs hat er in einer Baracke gewohnt, heute sagt man dazu „mobile Wohneinheiten“. Seit 1974 lebt er in Wannweil. Er kam zunächst in der K´furter Straße 20 unter. Nach der Baufirma Krötz folgte ein kleines Zwischenspiel in der Glasweberei Wannweil. Auf dem Bau wurde man eben immer nass. Der nächste Arbeitgeber war die Firma Beka, Braun & Kemmler in Tübingen, wo heute der Baumarkt HORNBACH steht. Ab 1988 folgten 22 Jahre Arbeit im Himmelwerk in Tübingen. Mit 63 Jahren wurde er Rentner . Seit 1987 besitzt er ein eigenes Haus in Wannweil.  Damit war der Entschluss gefallen, in Deutschland zu bleiben. Er hat eine Tochter und zwei Söhne. Der Sohn ist Ingenieur. Keiner will zurück. Er ist der einzige von seiner Familie, der nach Deutschland ging. Seine zwei Brüder und fünf Schwestern sind dort geblieben. Aber die Mitglieder der Familie seines Schwagers sind in ganz Europa verstreut.
In der Türkei hat sich auch Vieles geändert. Der Abstand zwischen arm und reich wurde dort auch größer. Ali Alpaslan unterteilte in die D-Mark-Zeit bis 2002 und die Euro-Zeit. Er hat deutsch gelernt. Zahlreiche Türken sind auch zurückgegangen. Schließlich schilderte Ali Alpaslan noch ein Bewerbungsgespräch aus seiner Anfangszeit in Deutschland, als er noch kein Wort deutsch konnte.  Die  Fortsetzung mit den Lebensläufen zweier  weiterer türkischen Interviewpartner folgt. –Bleiben Sie dran.-

Botho Walldorf

Freitag, 15. November 2013

Wannweiler Geschichte(n) „Fremde Heimat Deutschland“



Zeitzeugen erzählten, wie sie in den 1960er Jahren als „Gastarbeiter“ nach Deutschland kamen und hier eine neue Heimat fanden“.
Zeitzeuge 1 von insgesamt 4 Zeitzeugen, die sich für ein Interview zur Verfügung stellten, war
die Italienerin Giuseppina Ghiana



Zu dieser bestens besuchten Veranstaltung hatten die Gemeindebücherei und der Krankenpflegeverein eingeladen in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis interkulturelle Begegnung und dem Wannweiler BILDERTANZ.
Frau Theresia Mann (geb. 1938) stellte den interkulturellen Gesprächskreis vor, der im Sommer 2013 das „Fastenbrechen“ organisiert hatte. Herr Hauke Petersen führte die 5 Zeitzeugen-Abende auf, welche unter der Trägerschaft des Krankenpflegevereins durchgeführt wurden. Themen waren  beispielsweise „Weihnachten in schwerer Zeit“ (Dez. 2011), Heimatvertriebene (April 2013) und „Arbeiten in der Spinnerei“ (Juni 2013).
H. Petersen erinnerte daran, dass er durch den Krankenpflegeverein in Kontakt mit älteren Menschen gekommen sei. Der Krankenpflegeverein war Mitte der 1970er Jahre gegründet worden als Ersatz für  die früheren evangelischen Gemeinde-Krankenschwestern. Seit 1995 gibt es die Pflegeversicherung. Damit einher kamen die zahlreichen ambulanten Hilfsdienste auf, so dass der Krankenpflegeverein etwas an Bedeutung verlor.
Zur Kontaktaufnahme bei den türkischen Mitbürgern trug vor allem Ladenbesitzer Dikme aus der Dorfstraße bei. Er hat um 2005 einen Geschäftshaus-Neubau anstelle eines giebelständigen Wohn- und Ökonomiegebäudes errichtet.
H. Petersen erwähnte das erste Anwerbeabkommen mit Italien im Jahre 1955, dem 1961 eines mit der Türkei folgte. Petersen zitierte den Dichter Max Frisch: „Arbeiter wurden gesucht und Menschen waren gekommen“. 1964 kam der 1-Millionste Gastarbeiter. Dem wurde ein Moped geschenkt . Dieses Foto wurde zur Ikone der Zeitgeschichte der von 1949 bis 1990 existierenden Bonner Republik. Um 1972 waren 4 Millionen Gastarbeiter in der Bonner Republik beschäftigt. In Wannweil war um 1990 mit 12 % Ausländern der Höchststand erreicht. Gegenwärtig sind es mit 500 Ausländern etwa 10 % der Bevölkerung.
Die „spezial guests“  des Zeitzeugen-Abends waren vier Gastarbeiter: Eine Italienerin und drei Türken. Allen gemeinsam ist, das sie Immobilienbesitz in Wannweil haben.
Als erste erzählte die Italienerin Giuseppina Ghiana, Jahrgang 1944 ihre Lebensgeschichte. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass Frau Ghiana in der Öffentlichkeit redete, dazu noch auf Deutsch. Sie entschuldigte sich für ihre  mangelhaften Deutsch-Kenntnisse. Aber die nicht einwandfrei Deutsch sprechenden Ausländer machten das Besondere an diesem Abend aus. Initiator Hauke Petersen war zweimal bei Familie Ghiana. Aus einem angekündigten kurzen Besuch wurden über zwei  Stunden.
Frau Ghiana besitzt heute eine Eigentumswohnung in der Hauptsraße 16 – der früheren Filiale der Kreissparkasse bis 1984. Von Frau Ghiani stammt auch das Foto aus den 1960er Jahren,  mit dem im Gemeindeboten  Anfang November 2013 für die Veranstaltung geworben wurde. Das Foto zeigt sie in Begleitung ihres Bruders. 

Der Ehemann Benedetto arbeitete 25 Jahre in der Spinnerei, die Ehefrau 23 Jahre in Wechselschicht. 30 Jahre wohnten sie in der Hauptstraße 94. Diese Einfachst-Wohnhäuser wurden um 1954 von der Spinnerei erbaut. Erstbewohner waren die Heimatvertriebenen, die dann aus den Holz-Baracken ausziehen konnten. 2013 sind diese Einfachst-Wohnhäuser leerstehend. Sie werden demnächst abgebrochen werden, um den in Sommer 2013 vorgestellten Bauplanungen Platz zu machen. Die Werkswohnungen hatten kein Bad und Toiletten „mit einem Loch“. Gemeint sind die Trockenaborte, im Volksmund „Plumpsklo“ genannt. 2002 hat die Tochter für die Ghianas eine Eigentumswohnung in der Wannweiler Hauptstraße 16 erworben, damit sie ihren Lebensabend hier verbringen können. Leider hatte Ehemann Benedetto (geb. 1938) im Jahre 2009 einen Schlaganfall und ist seit 2011 pflegebedürftig. Die Ehefrau kann das aber noch alleine bewältigen. 

Eine Cousine war bereits in der Spinnerei in Wannweil beschäftigt und die Giuseppina wollte eigenes Geld, ein Taschengeld verdienen. In dem Dorf 60 km südlich von Neapel konnte man zwar auch leben, aber etwas Zusätzliches konnte man sich nicht leisten. Der Vorteil der Spinnerei war, dass das Unternehmen Werkswohnungen bieten konnte, wenn  der Wohnstandard auch einfach war. Wieder spielte das „Mädchenwohnheim“ eine Rolle , wo ab 1943 bis 1945 die „Ostarbeiterinnen“ untergebracht waren. Die Eltern der Giuseppina hatten noch den Zweiten Weltkrieg  und die faschistische Sozial-Republik von Salo in guter Erinnerung. Die Eltern meinten, dass die Deutschen nicht so gut, nicht menschlich seien. In Wannweil war anfangs das Einkaufen schwierig, gab es doch noch keinen Supermarkt mit Selbstbedienung. Zunächst hat es ihr gar nicht gefallen. Sie heiratete  hier einen Italiener aus Bari, wo sie heute noch ein Häuschen am Meer haben. Das wird  heute auch von den Kindern, ein Sohn und einer Tochter gerne genutzt. Die Tochter wohnt allerdings in Heidelberg, der Sohn in München. Die Tochter erwarb für die Eltern die Eigentumswohnung Hauptstraße 16. Die Eltern wollen gerne in Wannweil bleiben, wo sollten sie auch hin.  Nach der Geburt des ersten Kindes gingen die Ghianas nach Italien zurück. Der Ehemann fand dort aber keine Arbeit, sodaß er froh war, wieder in der Spinnerei anfangen zu können. Die Familie Ghiana kamen wieder nach Wannweil. Die Tochter wurde bei Rektor Schmid (geb. 1928) eingeschult. Ohne ein Wort Deutsch zu sprechen kam die Tochter in die erste Klasse. Aber nach 5 6 Monaten konnte sie schon die zweite Klasse besuchen. In dem Viertel um die Spinnerei, der Fallenbachstraße,  wohnten fast nur Ausländer. Es wurde gefeiert. Wenn es zu laut wurde, wurde die Polizei angerufen. Die sagten, man solle leise weiter feiern und wurden zu einem Kaffee eingeladen. Bei den Ausländern stehen die Wohnungen eher offen als bei den Deutschen. 

Zur Geschichte des im Gemeindeboten Wannweil Ende Oktober 2013 veröffentlichten Fotos: Der Bruder kam auch mit nach Deutschland, mit dem die Giuseppina abgebildet ist. Der blieb 25 Jahre. 1987 wurde die Spinnerei geschlossen. Um die Schaffung von Ersatz-Arbeitsplätzen kümmerte sich in Wannweil niemand. Der Ehemann war 50 Jahre alt. Doch Giuseppina Ghiana machte mit 46 Jahren noch den Führerschein, um nach Mittelstadt zur Firma Beck zu gelangen. Die Deutschen haben mit den Ausländern nie richtig deutsch gesprochen. Sie benutzten das sogenannte „Tarzan-Deutsch“. „Sie würde noch einmal gehen“ bilanzierte Giuseppina Ghiana . Am liebsten würden sie 6 Monate in Italien und 6 Monate hier verbringen. So werden die Ghianas eben in Wannweil alt.

Botho Walldorf

Mittwoch, 13. November 2013