Zeitzeugen erzählten, wie
sie in den 1960er Jahren als „Gastarbeiter“ nach Deutschland kamen und hier
eine neue Heimat fanden“.
Zeitzeuge 1 von insgesamt 4 Zeitzeugen, die sich für
ein Interview zur Verfügung stellten, war die Italienerin Giuseppina Ghiana
Zu
dieser bestens besuchten Veranstaltung hatten die Gemeindebücherei und der
Krankenpflegeverein eingeladen in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis
interkulturelle Begegnung und dem Wannweiler BILDERTANZ.
Frau
Theresia Mann (geb. 1938) stellte den interkulturellen Gesprächskreis vor, der
im Sommer 2013 das „Fastenbrechen“ organisiert hatte. Herr Hauke Petersen
führte die 5 Zeitzeugen-Abende auf, welche unter der Trägerschaft des
Krankenpflegevereins durchgeführt wurden. Themen waren beispielsweise „Weihnachten in schwerer Zeit“
(Dez. 2011), Heimatvertriebene (April 2013) und „Arbeiten in der Spinnerei“
(Juni 2013).
H.
Petersen erinnerte daran, dass er durch den Krankenpflegeverein in Kontakt mit
älteren Menschen gekommen sei. Der Krankenpflegeverein war Mitte der 1970er
Jahre gegründet worden als Ersatz für
die früheren evangelischen Gemeinde-Krankenschwestern. Seit 1995 gibt es
die Pflegeversicherung. Damit einher kamen die zahlreichen ambulanten
Hilfsdienste auf, so dass der Krankenpflegeverein etwas an Bedeutung verlor.
Zur
Kontaktaufnahme bei den türkischen Mitbürgern trug vor allem Ladenbesitzer
Dikme aus der Dorfstraße bei. Er hat um 2005 einen Geschäftshaus-Neubau
anstelle eines giebelständigen Wohn- und Ökonomiegebäudes errichtet.
H.
Petersen erwähnte das erste Anwerbeabkommen mit Italien im Jahre 1955, dem 1961
eines mit der Türkei folgte. Petersen zitierte den Dichter Max Frisch:
„Arbeiter wurden gesucht und Menschen waren gekommen“. 1964 kam der
1-Millionste Gastarbeiter. Dem wurde ein Moped geschenkt . Dieses Foto wurde
zur Ikone der Zeitgeschichte der von 1949 bis 1990 existierenden Bonner
Republik. Um 1972 waren 4 Millionen Gastarbeiter in der Bonner Republik
beschäftigt. In Wannweil war um 1990 mit 12 % Ausländern der Höchststand
erreicht. Gegenwärtig sind es mit 500 Ausländern etwa 10 % der Bevölkerung.
Die
„spezial guests“ des Zeitzeugen-Abends
waren vier Gastarbeiter: Eine Italienerin und drei Türken. Allen gemeinsam ist,
das sie Immobilienbesitz in Wannweil haben.
Als
erste erzählte die Italienerin Giuseppina Ghiana, Jahrgang 1944 ihre
Lebensgeschichte. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass Frau Ghiana in der
Öffentlichkeit redete, dazu noch auf Deutsch. Sie entschuldigte sich für
ihre mangelhaften Deutsch-Kenntnisse.
Aber die nicht einwandfrei Deutsch sprechenden Ausländer machten das Besondere
an diesem Abend aus. Initiator Hauke Petersen war zweimal bei Familie Ghiana.
Aus einem angekündigten kurzen Besuch wurden über zwei Stunden.
Frau
Ghiana besitzt heute eine Eigentumswohnung in der Hauptsraße 16 – der früheren
Filiale der Kreissparkasse bis 1984. Von Frau Ghiani stammt auch das Foto aus
den 1960er Jahren, mit dem im
Gemeindeboten Anfang November 2013 für
die Veranstaltung geworben wurde. Das Foto zeigt sie in Begleitung ihres
Bruders.
Der
Ehemann Benedetto arbeitete 25 Jahre in der Spinnerei, die Ehefrau 23 Jahre in
Wechselschicht. 30 Jahre wohnten sie in der Hauptstraße 94. Diese
Einfachst-Wohnhäuser wurden um 1954 von der Spinnerei erbaut. Erstbewohner
waren die Heimatvertriebenen, die dann aus den Holz-Baracken ausziehen konnten.
2013 sind diese Einfachst-Wohnhäuser leerstehend. Sie werden demnächst
abgebrochen werden, um den in Sommer 2013 vorgestellten Bauplanungen Platz zu
machen. Die Werkswohnungen hatten kein Bad und Toiletten „mit einem Loch“.
Gemeint sind die Trockenaborte, im Volksmund „Plumpsklo“ genannt. 2002 hat die
Tochter für die Ghianas eine Eigentumswohnung in der Wannweiler Hauptstraße 16
erworben, damit sie ihren Lebensabend hier verbringen können. Leider hatte
Ehemann Benedetto (geb. 1938) im Jahre 2009 einen Schlaganfall und ist seit
2011 pflegebedürftig. Die Ehefrau kann das aber noch alleine bewältigen.
Eine
Cousine war bereits in der Spinnerei in Wannweil beschäftigt und die Giuseppina
wollte eigenes Geld, ein Taschengeld verdienen. In dem Dorf 60 km südlich von
Neapel konnte man zwar auch leben, aber etwas Zusätzliches konnte man sich
nicht leisten. Der Vorteil der Spinnerei war, dass das Unternehmen
Werkswohnungen bieten konnte, wenn der
Wohnstandard auch einfach war. Wieder spielte das „Mädchenwohnheim“ eine Rolle
, wo ab 1943 bis 1945 die „Ostarbeiterinnen“ untergebracht waren. Die Eltern
der Giuseppina hatten noch den Zweiten Weltkrieg und die faschistische Sozial-Republik von
Salo in guter Erinnerung. Die Eltern meinten, dass die Deutschen nicht so gut,
nicht menschlich seien. In Wannweil war anfangs das Einkaufen schwierig, gab es
doch noch keinen Supermarkt mit Selbstbedienung. Zunächst hat es ihr gar nicht
gefallen. Sie heiratete hier einen
Italiener aus Bari, wo sie heute noch ein Häuschen am Meer haben. Das wird heute auch von den Kindern, ein Sohn und
einer Tochter gerne genutzt. Die Tochter wohnt allerdings in Heidelberg, der
Sohn in München. Die Tochter erwarb für die Eltern die Eigentumswohnung
Hauptstraße 16. Die Eltern wollen gerne in Wannweil bleiben, wo sollten sie
auch hin. Nach der Geburt des ersten
Kindes gingen die Ghianas nach Italien zurück. Der Ehemann fand dort aber keine
Arbeit, sodaß er froh war, wieder in der Spinnerei anfangen zu können. Die
Familie Ghiana kamen wieder nach Wannweil. Die Tochter wurde bei Rektor Schmid
(geb. 1928) eingeschult. Ohne ein Wort Deutsch zu sprechen kam die Tochter in
die erste Klasse. Aber nach 5 6 Monaten konnte sie schon die zweite Klasse
besuchen. In dem Viertel um die Spinnerei, der Fallenbachstraße, wohnten fast nur Ausländer. Es wurde
gefeiert. Wenn es zu laut wurde, wurde die Polizei angerufen. Die sagten, man
solle leise weiter feiern und wurden zu einem Kaffee eingeladen. Bei den
Ausländern stehen die Wohnungen eher offen als bei den Deutschen.
Zur
Geschichte des im Gemeindeboten Wannweil Ende Oktober 2013 veröffentlichten
Fotos: Der Bruder kam auch mit nach Deutschland, mit dem die Giuseppina
abgebildet ist. Der blieb 25 Jahre. 1987 wurde die Spinnerei geschlossen. Um
die Schaffung von Ersatz-Arbeitsplätzen kümmerte sich in Wannweil niemand. Der
Ehemann war 50 Jahre alt. Doch Giuseppina Ghiana machte mit 46 Jahren noch den
Führerschein, um nach Mittelstadt zur Firma Beck zu gelangen. Die Deutschen
haben mit den Ausländern nie richtig deutsch gesprochen. Sie benutzten das
sogenannte „Tarzan-Deutsch“. „Sie würde noch einmal gehen“ bilanzierte
Giuseppina Ghiana . Am liebsten würden sie 6 Monate in Italien und 6 Monate hier
verbringen. So werden die Ghianas eben in Wannweil alt.
Botho
Walldorf