Wannweiler Geschichte(n)
„Fremde Heimat Deutschland“
Zeitzeugen erzählten, wie
sie in den 1960er Jahren als „Gastarbeiter“ nach Deutschland kamen und hier
eine neue Heimat fanden“. Zeitzeuge 3 von insgesamt 4 interviewten
ausländischen Mitbürgern.
Zu dieser
bestens besuchten Veranstaltung am Donnertag, den 7. November 2013 hatten die
Gemeindebücherei und der Krankenpflegeverein eingeladen in Zusammenarbeit mit
dem Arbeitskreis interkulturelle Begegnung und dem Wannweiler BILDERTANZ.
H.
Petersen erinnerte daran, dass er durch den Krankenpflegeverein in Kontakt mit
älteren Menschen gekommen sei.
Zur Kontaktaufnahme bei den türkischen Mitbürgern trug
vor allem Ladenbesitzer Dikme aus der Dorfstraße bei. Er hat um 2005 einen
Geschäftshaus-Neubau anstelle eines giebelständigen Wohn- und Ölonomiegebäudes
errichtet.
Die
„special guests“ waren 4 Gastarbeiter: eine Italienerin und drei Türken.
Im
folgenden Bericht wird die Lebensgeschichte von Ayse Bouhafa als drittem
Zeitzeugen niedergeschrieben. Das Berichtete wurde auch digital als Film- und
Tondatei aufgenommen.
Damit
stehen sie einer aktualisierten Auflage des Heimatfilms von 1962 zur Verfügung.
Zur
Erinnerung: In den 1960er Jahren ließen manche Gemeinden einen Film von ihrer
Gemeinde herstellen. Heute würde man das als „Image-Film“ bezeichnen.
Bürgermeister Willi Obermüller (Amtszeit in Wannweil 1949 bis 1967, Lebenszeit
1897 bis 1984) ergriff auch diese Gelegenheit. Die Hoffnung, das defizitäre
Filmprojekt ließe sich durch das erheben von Eintristgeldern bei der Vorführung
vermindern, erfüllte sich leider nicht. Investitionen in kulturelle Dinge
lohnen sich langfristig aber doch. Heute sind wir froh an dem 2006
digitalisierten Heimatfilm von Wannweil 1962
Mutter
und Vater von Ayse Bouhafa konnten weder lesen noch schreiben, als sie nach Deutschland
kamen. Beide arbeiteten in der
Wannweiler Spinnerei.. Die Fallenbachstraße war ihre „kleine Heimat“. Dort war
alles eins, man hat sich gekannt, war vertraut, und füreinander da. Die Tochter
übersetzte beim Zeitzeugenabend für ihren Vater Mehmet Türkoglu und ergänzt:
„Heute sind wir auch in der Türkei Ausländer“.
Ayse Bouhafa ist 1943 geboren. 1970 heiratete er in der Türkei.
Bekannte waren schon in Wannweil. Die Eltern lebten in einem Dorf, wo
eigentlich nur Nahrungsmittel ausgetauscht wurden. Schließlich wurde auf einem
Büro in Istanbul eine Adresse vermittelt. Bis Nürnberg fuhren sie ohne
Sprachkenntnisse mit der Bahn. Der Arbeitgeber war eine Möbelfabrik, wo
Arbeits- und Wohnstätte beieinander waren. Nach ein paar Jahren hat sie ein
Bekannter nach Wannweil geholt in die Spinnerei. Gastarbeiter sind eigentlich
immer mobiler als Deutsche. Wegen besserer Verdienstmöglichkeiten wechseln sie
schnell in ein anderes Bundesland. Zuerst hatten sie eine Wohnung an der Pforte
der Spinnerei, dann eine Werkswohnung in der Fallenbachstraße. Dort in der
Fallenbachstraße waren alle Ausländer wie eine große Familie, wenn sie auch
nicht die gleiche Religion hatten. Mutter und Vater haben sich das Lesen und
Schreiben selber beigebracht. Jeden Tag haben sie im Zimmer einen Buchstaben
aufgehängt und gelernt. Manche deutsche Familien, wie etwa Jutta Ott aus dem
Römerweg, gaben auch eine Art Nachhilfe-Unterricht. Familie Bouhafa
gehörte zu den letzten Bewohnern in der Werkssiedlung in der Fallenbachstraße,
für die im Jahre 2014 eine Neubebauung vorgesehen ist. Im Sommer 2013 lagen die
Bebauungspläne im Rathaus Wannweil aus. Ayse Bouhafa beklagte die Kälte
zwischen Deutschen und Ausländern. Das bekam er auch beim Einkaufen zu spüren.
Metzger Walter Kern (Jahrgang 1920) war sehr entgegenkommend. Er verbürgte sich
dafür, dass er seine Messer reinigte, wenn er sie für Schweine fleisch benutzt
hatte. Bouhafa hatte wohl einen Führerschein, aber kein Auto. Im
Sparladen von Glückher wurde eingekauft. Die Waren brachte Herr Glückher dann
in die Wohnung. Es gab ja noch keine Supermärkte. Für die anderen
Ausländergruppen, etwa Italiener und Kroaten war es einfacher. Sie hatte die
gleiche katholische Religion. Sie trafen sich dann auch beim katholischen
Gottesdienst wieder, wo sie mit Deutschen auch in Kontakt kamen. Die Kinder der
Familie Bouhafa sind alle hier geboren, sie kennen die Türkei nur vom
Urlaub.
Heute
können die Familienmitglieder der Familie Bouhafa alleine zum Arzt
gehen. Bei Deutschen eingeladen werden sie selten.
Auffallend
ist, dass sich zu den
Zeitzeugengesprächen nur türkische Mitbürger gemeldet haben, die es zum
Hausbesitzer in Wannweil gebracht haben. Diese sind integrationswillig. Diese
Tatsache haben die freien Mitarbeiter von Reutlinger Generalanzeiger und
Tübinger Tagblatt natürlich gar nicht erkannt und deshalb darüber auch nicht
berichtet.
Der
Sportverein Wannweil hat eine große Integrations-Funktion. Auch der Stiefsohn
von Zeitzeugenabend-Initiator Petersen lernte beim Fußballspielen türkische
Schüler kennen.
Im Rückblick stellt Ayse Bouhafa fest, dass
es seinerzeit sehr mutig war, aus der
Türkei in ein fremdes Land zu gehen.
Als
Zeitzeuge wieder zu Wort kam der frühere Betriebsleiter Schweizer, der
1970 nach Wannweil kam und 1975 Betriebsleiter wurde. Schweizer wohnte in der
„Villa“. Schweizer sprach von den verschiedenen Migrantengruppen, denen die
Spinnerei bis 1987 eine berufliche Existenz bot. Bis in die 1930er Jahre kamen
die Mädchen oft zu Fuß aus den umliegenden
Dörfern zur Arbeit nach Wannweil. Im Zweiten Weltkrieg waren es die
Zwangsarbeiter der Daimler-Filiale. Für diese wurden ab 1944 die Baracken
gebaut. Denen folgten ab 1948 die Heimatvertriebenen,. Ab 1955 kamen dann die
Ausländer, jetzt zur Unterscheidung vom Dritten Reich „Gastarbeiter“ genannt.
Die
deutschen Mitarbeiter wanderten wegen der besseren Verdienstmöglichkeit in die
Metallindustrie ab. Schließlich wurde die renommierte Textil-Firma Gminder ja
1964 von Bosch mitsamt dem Geschäftsführer Hans L. Merkle übernommen. Schweizer
konnte als Betriebsleiter nicht zu allem ja sagen. Probleme gab es auch immer
wieder mit der Vergabe der Werkswohnungen, die Einfachstwohnungen der 1950 er
Jahre waren. Diese Wohnungen hatten weder Dusche noch Bad. Aber die Familien
waren daran froh. Zur Betriebsdusche gelangte man freitags und samstags nach
einem Gang durch den Websaal. Manchmal war von den vielen Benutzern der Abfluss
verstopft. Dann musste sich Betriebsleiter Schweizer um dieses Problem kümmern.
Zeitweise
gab es bis zu 6 Nationen in der Spinnerei. Bei 70 italienischen Familien wurden
manche Familienprobleme auch importiert, die Schweizer dann schlichten musste.
Ein
Vorteil war beim Arbeitsplatz Spinnerei, dass
außer der Werkswohnung Mann und Frau an der gleichen Maschine in
Wechselschicht arbeiten konnten. Da nahm man manchen Nachteil, wie etwa die
geringere Bezahlung in der Textilindustrie in Kauf. So konnte ein Elternteil
immer bei den Kindern anwesend sein.
Heute
ist es Geschichte, dass Wannweil einmal so viele Arbeitsplätze bieten konnte.
Botho
Walldorf