Montag, 18. November 2013

Wannweiler Geschichte(n) „Fremde Heimat Deutschland“ - heute Abdullah Sezgin



Zeitzeugen erzählten, wie sie in den 1960er Jahren als „Gastarbeiter“ nach Deutschland kamen und hier eine neue Heimat fanden“. Zeitzeuge 4 von insgesamt 4 interviewten  ausländischen Mitbürgern. 

Zu dieser bestens besuchten Veranstaltung am Donnerstag, den 7. November 2013 hatten die Gemeindebücherei, der Krankenpflegeverein eingeladen in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis interkulturelle Begegnung und dem Wannweiler BILDERTANZ .
Weil der Amateurhistoriker B. Walldorf die dabei zur Sprache gekommenen Aussagen als bedeutsam einstuft, werden sie hier protokolliert. Digitale Film- und Tonaufnahmen liegen auch vor, aber für die Zukunft überlebt schriftlich Festgehaltenes am ehesten.
H. Petersen erinnerte daran, dass er durch den Krankenpflegeverein in Kontakt mit älteren Menschen gekommen sei. Der Krankenpflegeverein war Mitte der 1970er Jahre gegründet worden als Ersatz für die früheren Gemeindekrankenschwestern. Seit 1995 gibt es die Pflegeversicherung. Damit einher kamen die zahlreichen privaten ambulanten Hilfsdienste auf, sodass der Krankenpflegeverein etwas an Bedeutung verlor.
Zur Kontaktaufnahme bei den türkischen Mitbürgern trug vor allem Ladenbesitzer Dikme aus der Dorfstraße bei.
In Wannweil waren um 1990 mit 12 % Ausländern der Höchststand erreicht. Gegenwärtig sind es mit 500 Ausländern etwa 10 % der Wohnbevölkerung.
Die „special guests“ waren  am 7. November 2013 4 Gastarbeiter: eine Italienerin und drei Türken.
Als letzter Bericht dieses Zeitzeugenabends hatte Abdullah Sezgin das Wort- 
Interview ergänzt durch persönliche Befragung durch B. Walldorf am Sonntag, den 10. November 2013 vor seinem Hause in der Griesstraße 23.

Abdullah Sezgin, Jahrgang 1954, kam als junger Mann über Gelegenheitsjobs in Reutlingen und den Daimler in Sindelfingen in die Marienstraße nach Wannweil.
Über die Rolle, welche „der Daimler“  in der deutschen Geschichte ab dem Kaiserreich bis zur derzeitigen Berliner Republik spielt, sind sich nur wenige Menschen im Klaren. In Wannweil hatte der Daimler in den Jahren 1943 bis 1945 ebenfalls ein unrühmliches Zwischenspiel gegeben.
A. Sezgin hatte fünf Jahre nur die türkische Schule besucht. Zum ersten Vorstellungsgespräch ging er mit seinem Vater. Da hat er nichts verstanden.
A. Sezgin fand mit seiner jungen Familie in der herzlichen Nachbarschaft in Wannweil ein neues Zuhause. Seine Frau fing an, in der Spinnerei zu arbeiten. Zusammen mit seinen drei Söhnen hat er  2011  in der  Griesstraße 23  ein Haus gebaut.
Vor zwei Jahren haben sie ein altes, traufständiges quergeteiltes gestelztes Eindachhaus in der Wannweiler Griesstraße erworben und abgebrochen. Dass in der Griesstraße einmal bis 1948 der Firstbach seinen Lauf hatte, kann man immer weniger „in situ“ – also an Ort und Stelle – feststellen. Dort hat die Großfamilie einen zweistöckigen Neubau hingestellt, wo Schwager Kinder und Enkel Platz haben. Es wurden zahlreiche Fliesen verwendet als Bodenbelag, wie es in der Türkei üblich ist. Insgesamt wohnen vier Familien darin. Es bietet 3 Söhnen und 4 Enkeln ein Heim. Ein weiterer Enkel ist unterwegs. Eine Einliegerwohnung ist an einen Deutschen vermietet. A. Sezgin bekennt: „Ich habe mich hier nie als Ausländer gefühlt“. Das war nicht immer so: Bei der ersten Rückreise in die Türkei hatte er darauf bestanden, sein Einreisevisum ungültig zu stempeln. Er sollte ja nicht mehr auf die Idee kommen, wieder nach Deutschland zu gehen. A. Sezgin stammt aus der Stadt Boulou , die zwischen Ankara und Instanbul gelegen ist. Mit seinem Vater kam er im Flugzeug 1970 nach Deutschland. Der schaffte auch schon beim Daimler. A. Sezgin heiratete bereits mit 16 Jahren. Seine erste Firma war der Maler Anton Geiselhart. Der kündigte ihm, weil er wegen seiner Hochzeit  seinen Urlaub eigenmächtig verlängerte. Aber beim Geiselhart hat es ihm ohnehin nicht gefallen, meinte A. Sezgin rückblickend. Zur Ableistung der Militärzeit ging A. Sezgin zurück in die Türkei für 20 Monate. Heute besteht der Wehrdienst auch dort nur noch  aus 12 Monaten. Als er in der Türkei keine Arbeit fand, rief er einfach seinen Chef an, dessen Telefonnummer er noch hatte. Abdullah Sezgin kam 1976 nach Wannweil. Die Ehefrau fing 1980 in der Spinnerei an.  Als er zum erstenMal das Fernsehen sah, beeindruckte ihn der „Mann in der Kiste“. Später sorgte der Elektromeister Steinlen dafür, dass er das türkische Fernsehen empfangen konnte.  2013 sind das alles keine Probleme mehr. Der erste Wohnsitz war in der Jakobstraße 1 neben dem Raumausstatter Nedele. Dann folgte die Marienstraße 86. Vor dem Bezug des Eigenheims in der Griesstraße 23 im Jahre 2012 wohnte A. Sezgin mit seiner Familie im eigenen Altbau in der benachbarten Eisenbahnstraße 23.
Abdullah Sezgin arbeitete von 1979 bis 2008 beim Daimler und ging mit 63 Jahren in Rente. Zuerst kam er sich dort wie im Gefängnis vor. 1984 wurde er zum Vertrauensmann gewählt.
Dabei lernte er zahlreiche Konflikte am Arbeitsplatz kennen. Sein 1987 geborener Sohn hat beim Daimler eine Lehre gemacht und wurde in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen. Ein anderer Sohn arbeitet bei Bosch. A.Sezgin kam auf alle Arten zu seinem Arbeitsplatz beim Daimler. Mal mit dem Werksbus, der ab Reutlingen fuhr. Aber das dauerte zu lange. Eine weitere Möglichkeit bot die Bildung von Fahrgemeinschaften. Am unabhängigsten war er, wenn er  alleine mit dem Daimler zur Arbeit fuhr. Den Winter verbringt A. Sezgin hier , den Sommer am liebsten in der Türkei. Dort hat er allerdings zahlreiche Bekannte verloren.
Den Bericht über den Zeitzeugenabend haben die Enkel von Sezgin im Reutlinger Generalanzeiger online gelesen, weil sie als Türken den „GEA“ natürlich nicht abonniert haben. In moderner Technik sind die Jungen jedoch fitt.

Auch im November 2013 arbeiten weitere Wannweiler – in diesem Fall der Ernährer der  vielköpfigen Palästineser-Familie Mraai  aus der Schulstraße 2 (Altes Schulhaus von1885)  beim Daimler unter ganz anderen Bedingungen: Jetzt allerdings über eine Leihfirma und befristet.  So ändern sich die Zeiten.

Botho Walldorf

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