Aus
dem Jahr 1869 haben sich erste Baupläne für den Shedbau im
Gemeindearchiv Wannweil erhalten. 1870 erfolgt die Aufnahme des
Betriebes mit 7400 Spindeln. 1924 übernimmt Fabrikant Richard Burkhardt,
der in Reutlingen Planie 30 wohnte, den Betrieb. Er wurde1877 in
Eningen geboren und starb 1958 in Reutlingen. 1934 kommt Karl Conzelmann
(Lebenszeit 1880 bis 1972) aus Tailfingen als Teilhaber hinzu. Die
Gemeinde Wannweil vergibt an R. Burkhardt zu seinem 80. Geburtstag am
16. März 1957 erstmals in ihrer Geschichte die Ehrenbürgerwürde. Karl
Conzelmann wird 1960, ebenfalls zu seinem 80. Geburtstag, zum zweiten
Ehrenbürger Wannweils ernannt. Diese beiden Herren blieben bis heute -
2013 - die einzigen Ehrenbürger Wannweils. Conzelmann stiftet 1960
namhafte Beträge an die Wannweiler Vereine und die beiden
Kirchengemeinden. Bei den Feierlichkeiten werden den Geehrten kunstvoll
gestaltete Ehrenbürgerbriefe ausgehändigt und Straßen in den
Neubaugebieten nach ihnen benannt. Dadurch bleiben die Namen der
Ehrenbürger im kollektiven Gedächtnis der Wannweiler Bevölkerung und der
ehemaligen Mitarbeiter. Nach dem Tode der beiden Ehrenbürger wurden
1972 zwei große Porträtfotos im Sitzungssaal des alten Rathauses
aufgehängt. Sie befinden sich 2013 im Gemeindearchiv.
Die
ersten Fremdarbeiter verschiedener Nationalitäten kamen bereits ab
Herbst 1939 in die Spinnerei, zumeist auf Empfehlung. 1943 ging von
einer "Rüstungsinspektion" genannten Behörde in Stuttgart die
Beschlagnahme der Hauptgebäude Spinnerei für die Zwecke der Firma
Daimler-Benz aus. Diese Firma hatte bis zur Besetzung Wannweils am 20.
April 1945 durch die Franzosen das Sagen auf dem Firmengelände. Die
Spinnerei bestand aber in wenigen Betriebsgebäuden mit den bisherigen
Teilhabern Burkhardt und Conzelmann mit etwa 100
"Gefolgschaftsmitgliedern" fort.
Die
Daimler-Arbeiter wurden durch das Arbeitsamt Reutlingen zugewiesen. Das
Führungspersonal kam von Untertürkheim, welches sich Mietwohnungen in
Wannweil suchte. Ein Barackenlager für 200 Arbeiter, die auf sogenannten
"Holzlegen" nächtigen mussten, wird in der Nähe der Spinnerei
errichtet. Das Wort "Holzlege" ist ein zeittypischer Ausdruck. Über
jeden Arbeiter wurde eine Karteikarte angelegt. Sie geben über Zu- und
Wegzug Auskunft. Diese sind teilweise 2013 noch im Gemeindearchiv
vorhanden.
In den
Jahren 1945/46 stellte die französische Besatzungsmacht wesentliche
Nachforschungen über die ausländischen Zwangsarbeiter an. Über die in
der Spinnerei während des Krieges beschäftigten nicht deutschen Arbeiter
liegen von 1946 genaue Aufstellungen vor. 50 ausländische Männer und 89
ausländische Frauen weist die Spinnerei und Weberei nach. Sie waren
teils im "neu eingerichteten Mädchenwohnheim", teils in einem
"Schlafsaal in unserem Ökonomiegebäude" oder in neuen Baracken
untergebracht, wie im April 1946 festgestellt wird. Franzosen,
Elsässer und Holländer hatten sich freiwillig oder auf Empfehlung selbst
gemeldet. Einen kinderreichen Schneidermeister hatte das Arbeitsamt in
Tomaszow aus dem damaligen "Generalgouvernement" zugewiesen. Durch die
Einberufungen zur Wehrmacht standen ja kaum mehr Deutsche auf dem
Arbeitsmarkt zur Verfügung.
Nachforschungen
über die weitaus größere Anzahl der Arbeiter der Firma Daimler-Benz AG
bleiben ohne konkretes Ergebnis. Erst Ende der 1980er Jahre wurde diesem
Thema wieder Beachtung geschenkt.
Nach
dem Krieg nimmt die Spinnerei ihren Betrieb rasch wieder auf,
Materialmangel ist nun aber das große Problem. Insbesondere die ab 1948
in zunehmendem Maße zugewiesenen Heimatvertriebenen finden in der
Spinnerei schnell einen Arbeitsplatz. Für ihre Unterbringung wird das
Barackenlager nach Abzug der französischen Besatzungsmacht rasch wieder
instandgesetzt. Auf einem Luftbild von 1956 sind die Baracken noch
abgebildet. Durch den Neubau von mehreren Werkswohnungs-Gebäuden ab 1953
werden die Baracken nicht mehr gebraucht. Die Baracken waren stets
hochwassergefährdet.
Ab
den 1960er Jahren kommen nun erneut ausländische Mitarbeiter in die
Spinnerei. Sie kommen nicht mehr aus Osteuropa, sondern aus Südeuropa.
Sie werden nun "Gastarbeiter" genannt. 1987 wird die Spinnerei
geschlossen. Die Firma Holy in Metzingen übernimmt die weitläufige
Immobilie. 2012 wurde dem Gemeinderat von Wannweil ein neues
Nutzungskonzept vorgestellt. Die Werkswohnungen der 1950er Jahre entsprechen nicht mehr heutigen Wohnansprüchen. Der Abbruch ist vorgesehen.
Die bevorstehenden Veränderungen waren Anlass für das Zeitzeugengespräch am Donnerstag, den 10. Januar 2013, 19 Uhr in der Gemeindebücherei Wannweil.
In
der Diskussion mit 4 ehemaligen Mitarbeitern der Spinnerei, die von
Hauke Petersen moderiert wurde, könnten natürlich nur wenige Aspekte der
nun über 143 Jahre währenden Nutzungsgeschichte der oberen Fabrik
angesprochen werden.
Botho Walldorf
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