Samstag, 20. April 2013

Zeitzeugengespräch am vergangenen Donnerstag, den 18. April 2013 in der Gemeindebücherei Wannweil



Der Krankenpflegeverein Wannweil hatte unter seinem Vorsitzenden Hauke Petersen nun schon mehrfach zu Zeitzeugengesprächen eingeladen, die immer gut besucht waren. Erinnert sei an die Themen „Weihnachten in schwerer Zeit“  im Dezember 2011 und über die Spinnerei im Februar 2013.
 
Büchereileiterin Christina Ulmer-Trauner konnte eine stattliche Anzahl Zuhörer begrüßen, unter ihnen Bürgermeisterin Rösch und Pfarrer Gläser. Auch ein Vertreter des „Reutlinger Generalanzeigers“ war anwesend. Herr Tillman Börner wird einen Bericht veröffentlichen, der nicht nur als Print-Medium zur Verfügung steht, sondern im Online-Archiv des Reutlinger Generalanzeigers auch in Zukunft nachlesbar bleiben wird. Klaus Skwierblies sorgte für die Dokumentation als Film. Botho Walldorf beschreibt in diesem Blog einige Einzelheiten aus den Berichten, die vielleicht anderswo nicht veröffentlicht werden.

Herr Trojan, Jahrgang 1923 stammt aus Rastenburg in Ostpreußen. Er war bei der Marine auf einer Art Schnellboot. Er verbrachte die letzten Kriegsmonate in der „Festung“ La Rochelle. Vom Schiff weg wurden sie zur Verteidigung dieser Festung eingesetzt. Die „Festung La Rochelle“ spielte in der Propaganda des zu Ende gehenden Dritten Reiches eine große Rolle. Deshalb war es interessant, noch einmal einen Zeitzeugen zu diesem selten angesprochenen Thema zu hören.
Herr Trojan musste sich dann im Westen eine neue Existenz aufbauen. Er sagte, dass er Glück hatte, seine Ausbildung als Bankkaufmann noch in der Heimat abschließen zu können. Allerdings gestaltete sich in der Nachkriegszeit die Stellensuche im Raum Ludwigsburg als schwierig. Die Banken wollten die Stellen freihalten für ihre ehemaligen Mitarbeiter, die sich noch in Kriegsgefangenschaft befanden. Mühselig fand er heraus, dass dies der Hauptgrund seiner erfolglosen Stellensuche war.
Vor wenigen Jahren musste Herr Trojan seiner Frau ins Grab schauen. Diese hatte im seit 2005 bestehenden Gemeindepfleghaus Wannweil eine liebevolle Aufnahme gefunden.

Frau Wöhr, Jahrgang 1924 war bisher als Zeitzeugin nicht in Erscheinung getreten. Ihre Nachbarin Frau Bartsch, die bis 2004 auf der Wannweiler Filiale der Kreissparkasse arbeitete, hatte sie dazu gebracht, in diesem Rahmen in der Wannweiler Öffentlichkeit über ihre Erlebnisse auszusagen.
Bis zum Luftangriff im August 1944 auf Königsberg merkte die spätere Frau Wöhr vom Krieg recht wenig. Natürlich hatte sie im Oktober 1944 von den schrecklichen Geschehnissen von Nemmersdorf gehört. Diese waren ja von der NS-Propaganda besonders aufgebauscht worden. Auf verschiedenen Schiffen gelangte Frau  Wöhr über Pillau, Neutief , sowie Fußmärsche auf der Nehrung über Hela schließlich nach Kopenhagen. Dort sah sie und ihre Mutter den schweren Kreuzer „Prinz Eugen“. Sie traf dort tatsächlich ihren Bruder, der dann auf der Prinz Eugen in amerikanische Gefangenschaft gehen musste. Die „Prinz Eugen“ endete als Bombenziel beim Bikini-Atoll im Pazifischen Ozean. Bekanntlich war die „Prinz Eugen“ im Mai 1941 ja Begleitschiff des Schlachtschiffes „Bismarck“, welches zuvor das englische Schlachtschiff „Hood“ versenkt hatte. Frau Wöhr kam dann nach vielen Irrwegen nach Degerschlacht. Frau Wöhr war da im heiratsfähigen Alter. Von den „Flüchtlingsmädchen“ wusste jeder, dass sie nichts hatten. So war manche Partie unerwünscht. In Wannweil baute sie dann mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann ein Eigenheim, wo sie noch heute wohnt.

Eine Zeitzeugin, Frau Barbara Hummel, Jahrgang 1929 konnte zu allen drei, bisher in der Wannweiler Öffentlichkeit angesprochenen Themen Stellung nehmen. Frau Hummel las vor, was sie handschriftlich verfasst hatte. Ihr Heimatort war Sackelhausen im rumänischen Banat. Im Aug. 1944 verkündete der „Trommelmannn“, dass sie ihren Heimatort am nächsten Morgen auf Befehl der Wehrmacht zu verlassen hätten. Für die meisten „Donauschwaben“ bot Österreich zunächst Schutz, bis die unmittelbaren Kriegshandlungen aufgehört hatten. Dann aber musste die Familie versuchen, sich wirtschaftlich bei Bauern durchzuschlagen. Wie bei zahlreichen Flüchtlingsschicksalen, bot die gute Beschäftigungslage der Wannweiler Textilindustrie sofort Arbeitsplätze für einen Neuanfang.
Moderator Petersen meinte, dass entscheidend war, in welchem Lebensalter sich die Heimatvertriebenen befanden, als sie das Schicksal des Heimatverlustes traf. Am Schlimmsten war der Heimatverlust für die über 60-jährigen. Die etwa 30-jährigen konnten sich in der Wirtschaftswunderzeit am ehesten eine neue Existenz aufbauen. Die Väter der Zeitzeugen waren für die Teilnahme am Ersten Weltkrieg zu jung und im Zweiten Weltkrieg zu alt gewesen. Deswegen wurden die meisten Väter für die OT (Organisation Todt) zwangsrekrutiert.
Christian Keil, Jahrgang 1932, verbrachte seine Kindheit im Ostteil der seit 1945 geteilten Stadt Görlitz. Herr Keil ist in Wannweil bekannt als langjähriger SPD-Gemeinderat und Vorsitzender des Krankenpflegevereins. Herr Keil hatte Glück, dass er Verwandtschaft in Altshausen in Oberschwaben hatte. So hatte die Familie ein Ziel, wo sie hin konnten. Als damals 14 jähriger lernte Keil schnell schwäbisch. Von dieser Zeit ist übrig geblieben, dass er schwäbisch antwortet, wenn er auf schwäbisch angesprochen wird. Er weiß aber die Situationen, wo es besser ist , hochdeutsch zu sprechen.
Botho Walldorf, Jahrgang 1945 ist auf der Flucht geboren. Er berichtete, wie heute in der polnischen Kleinstadt Mewe an der Weichsel mit der deutschen  bzw. preußischen Vergangenheit umgegangen wird. Die Kaiserzeit wird als Zeit wirtschaftlichen Wohlstandes angesehen. Damals entstanden Eisenbahn, Wasser- und Stromversorgung , wovon die Kleinstadt auch 2013 noch profitiert. In der heutigen Geschichtsschreibung wird objektiv berichtet, dass zahlreiche öffentliche Gebäude von den „Preußen“ erbaut wurden. Mittelfristig gerät jedoch in Vergessenheit, dass am Ort einmal Deutsche wohnten. Als zahlungskräftige Touristen, welche die „Kreuzritterburg“ besichtigen wollen, sind die Deutschen heute gerne gesehen. In der Schule ist zwar Englisch inzwischen die erste Fremdsprache, aber wegen der angespannten Arbeitsmarktsituation wird wieder gerne nach Deutschland geheiratet.

Ob die Heimatvertriebenen heute in Wannweil integriert sind, darüber waren die anwesenden Zeitzeugen geteilter Meinung.

Verantwortlich für diesen Beitrag: Botho Walldorf 

Keine Kommentare: