Als im September 1993 der erste internationale Denkmalstag (International Heritage Day) abgehalten wurde, bestand für die Besichtigung der in ihren Grundzügen romanischen Pfarrkirche St. Johannes der Täufer ein großer Nachholbedarf. Der damalige Kirchengemeinderat und Schreinermeister Walter Ott konnte seinerzeit gleich morgens 70 Interessenten auf einen Schlag begrüßen. 2011 fanden sich doch nachmittags um die 50 Besucher mit verschiedenen Kenntnisständen ein. Ein Vorteil ist natürlich, daß seit Mai 2011 im Internet und kurz vorher in der Tagespresse überregional für die Besichtigungsmöglichkeiten geworben wurde. Manche haben sich hervorragend darauf vorbereitet, fragten nach den "Königsgräbern", über die in den Reutlinger Geschichtsblättern 1892 schon publiziert wurde. 2006 initiierte der 53. nachreformatorische Pfarrer Wannweils, Eberhard Gläser (geb. 1953, seit 2003 in Wannweil ) die Veröffentlichung eines Kirchenführers. Dieser wurde von der Dolmetsch-Fachfrau Ellen Pietrus geschrieben. Heinrich Dolmetsch (1847-1908) war im ausgehenden 19. Jahrhundert einer der bedeutendsten Kirchenbaumeister Württembergs. Er erweiterte 1890/91 die bis dahin stilrein romanische Kirche Wannweils um 2 Seitenschiffe und gab ihr damit das heutige Erscheinungsbild.
Eine ähnliche Wirkung hatte in den 1950er Jahren der Reutlinger Architekt Manfred Wizgall (1914-96). Unter Wizgall wurden um 1955 wesentliche Ausmalungen der Dolmetsch Zeit beseitigt, um das Kirchenschiff aufzuhellen. In Reutlingen baute Wizgall die Kreuzkirche und in der hohenzollerischen Diaspora die Kirchen in Ostrach und Gammertingen. Letztere ist inzwischen ein schützenwertes Gesamtkunstwerk der 1950er Jahre (Literatur dazu: "Gotteshäusers auf der Alb " Würtz 2009). Man erfährt als ehrenamtlicher Kirchenführer auch manche Rückmeldung. 2006 wurde in der Turmkapelle auf Initiative des Fachmanns Manfred Degenhardt (geb. 1940 im hohenzollerischen Sigmaringen) von Konfirmanden der Boden durchsiebt. Es wurden etwa 30 Münzen und Glasscherben, sogenannte "terra sigillata", gefunden. Sie können heute "in situ" also am Fundort in einer gespendeten ansprechenden Vitrine gezeigt werde. Bei den Führungen stellte sich heraus, dass das Künstlerehepaar Degenhardt durch seine Aktivitäten weithin bekannt ist. Die Interessenlagen der Menschen verändern sich. Seit 1973 gibt in Stein die Villa rustica zu besichtigen, unter den Umstand, dass der rührige Ortsvorsteher Gerd Schollian "aus dem Römerkittel " fast nicht mehr herauskommt.
Die Besucher der Johanneskirche erinnerten sich an die römischen Hypokausten-Stelen, die sie in Stein schon gesehen hatten. Wie eine römische Heizung funktionierte, war also schon bekannt. So hat jedes Museum seine Aufgabe, das Interesse an bestimmten Epochen wachzuhalten und Informationen weiterzugeben. Kirchenferne fragten, warum die Turmkapelle nicht auch zu Gottesdiensten verwendet wird. Die Turmkapelle weckte auch Vorstellungen an einen Wehrturm. Tatsächlich ist in der ältesten Ansicht Wannweils von Kieser 1683 ein Zugang von oben zum Turm zu erkennen. Großes Interesse fand auch die Überlieferungsgeschichte des Motivs von 1798 mit König David als Hafenschläger. Heute kann sich niemand mehr vorstellen, daß dieses Objekt als Rückwand eines Werkzeugschrankes von 1891 bis etwa 1985 wenig geschätzt wurde. Materiellen Wert hat das ehemalige Emporenbild natürlich auch heute nicht, sondern nur ideellen. Einen Nebenaspekt hat der jährliche Denkmalstag auch. Man kann kontrollieren ob alle historischen Gegenstände noch da sind. Der renovierungsbedürftige Epitaph von 1774 aus Weichholz (Veröffentlicht im Bildband Wannweil II, Seite 37 ,1996, Reproduktion-Negativ-Nr. 645 841145 in der (noch) nicht erschlossen Sammlung Ott) war nicht auf Anhieb auffindbar. Die viel beschäftigten ev. Kirchengemeinderäte können das mal als Beratungspunkt aufnehmen. Eine große Besuchergruppe mit weniger kunstgeschichtlichem Hintergrund wollten noch einmal die Kirche sehen, wo die Eltern getraut oder sie selber konfirmiert worden sind. Manche Vikarin hat auch Erinnerungsspuren hinterlassen, etwa Frau Reiser Kruckenberg. Ein Bahningenieur der 1930er Jahre hatte ja den Schienenzeppelin Bauart Kruckenberg erfunden. Manche nutzen auch die offenen Kirchentüren um einfach mal hereinzuschauen, weil sie so oft mit dem Auto "an dem heimeligen Kirchle" vorbeifahren. Auch kindgerechte Führungen waren gefragt. Auf Kinder macht die Besichtigung der Glocken einen besonderen Eindruck.
Zum Thema "Industrialisierung im 19. Jahrhundert " hätte auch die Besichtigung des derzeit leerstehenden Websaales in der Oberen Spinnerei gepasst. Leider ließen die Verantwortlichen in Metzingen eine Besichtigung aus Haftungsgründen nicht zu. Nach 19 Jahren ist dem Denkmalstag doch eine große Breitenwirkung zuteil geworden. Die örtlichen Kulturdenkmäler werden bekannter und prägen sich im kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung ein.
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