Freitag, 28. Oktober 2011

Zeitzeugengespräch bei der "Begegnung am Mittwoch"

Einmal monatlich am Mittwoch ladet die ev. Kirchengemeinde Wannweil Ältere zu einem Gesprächsnachmittag ein. Der Programmablauf findet in einer festgefügten Reihenfolge statt.
Pfarrer Gläser sprach in seiner Andacht über Flucht und erzwungene Lebenswege. Schon das Jesuskind mußte mit seinen Eltern nach Ägypten fliehen.

Im folgenden Programmpunkt wurde der Verstorbenen gedacht. Frau Julie Fritz (Lebenszeit 1920 bis 2011) aus der Eugen-Bolz-Straße (mundartlich "Letten" genannt) war bis im Juli 2011 eine treue Besucherin. Ihr Vater war einst als Architekt um 1930 aus der Gegend von Schwäbisch Hall nach Wannweil gekommen. Frau Fritz hatte noch einen Bruder, der gefallen ist. Es waren auch ein Geburtstagskind anwesend, das sich das Lied "Die güldene Sonne" wünschte.

Als Zeitzeuge hatte das Team Herrn Baum aus Degerschlacht eingeladen. Er hat ein Buch "Jahrgang 1931" geschrieben. Baum wuchs in Zeitz in Sachsen-Anhalt auf. Dort betrieben die Eltern eine Gärtnerei. In den Jahren 1943-44 besuchte Baum eine Adolf-Hitler-Schule in Schlesien. Nur Kinder von besonders linientreuen Parteigenossen wurden dort aufgenommen. Der Besuch einer solchen Schule sollte seinen künftigen Lebensweg in der DDR erschweren. Bei Bewerbungen gab Baum an, dass seine Schulzeugnisse durch Kriegseinwirkung verloren gegangen seien. Für das berufliche Fortkommen als Gärtner mußte er Empfehlungen der sogenannten "Massenorganisationen" wie FDJ (Freie Deutsche Jugend) oder FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) vorlegen. Es wurde mehr Wert auf weltanschaulicher Unterricht gelegt und zu geringerem Teil auf Fachunterricht für den Gärtnerberuf. Manchen "Ulbricht-Witz" gab Baum zum Besten: "Der mit Spitzbart, Bauch und Brille, ist nicht unser Wille". Um 1960 floh Baum aus der DDR. Er baute sich in Degerschlacht eine neue berufliche Existenz auf.

Botho Walldorf

1 Kommentar:

Raimund Vollmer hat gesagt…

Tolle Idee mit dem Gesprächsnachmittag. Wer noch mehr Lust hat auf Lebensgeschichten, der ist am Sonntagabend in Altenburg herzlich willkommen. Dort
erzählt im ev. Gemeindesaal die Familie Sorge, Pfarrersehepaar in der Lausitz, von einem Leben mit allen Schikanen in der DDR. Die beiden, Klaus und Maria Sorge, bringen auch den Teil ihrer Stasiakten mit, der vor der Zerstörung hat gerettet werden können. 19.00 Uhr Beginn. Eintritt frei.