Donnerstag, 21. November 2013

Wannweiler Geschichte(n) „Fremde Heimat Deutschland“ - Ayse Bouhafa



Wannweiler Geschichte(n) „Fremde Heimat Deutschland“
Zeitzeugen erzählten, wie sie in den 1960er Jahren als „Gastarbeiter“ nach Deutschland kamen und hier eine neue Heimat fanden“. Zeitzeuge 3 von insgesamt 4 interviewten ausländischen Mitbürgern.  





Zu dieser bestens besuchten Veranstaltung am Donnertag, den 7. November 2013 hatten die Gemeindebücherei und der Krankenpflegeverein eingeladen in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis interkulturelle Begegnung und dem Wannweiler BILDERTANZ.
H. Petersen erinnerte daran, dass er durch den Krankenpflegeverein in Kontakt mit älteren Menschen gekommen sei. 

Zur Kontaktaufnahme bei den türkischen Mitbürgern trug vor allem Ladenbesitzer Dikme aus der Dorfstraße bei. Er hat um 2005 einen Geschäftshaus-Neubau anstelle eines giebelständigen Wohn- und Ölonomiegebäudes errichtet. 

Die „special guests“ waren 4 Gastarbeiter: eine Italienerin und drei Türken.
Im folgenden Bericht wird die Lebensgeschichte von Ayse Bouhafa als drittem Zeitzeugen niedergeschrieben. Das Berichtete wurde auch digital als Film- und Tondatei aufgenommen.
Damit stehen sie einer aktualisierten Auflage des Heimatfilms von 1962 zur Verfügung.
Zur Erinnerung: In den 1960er Jahren ließen manche Gemeinden einen Film von ihrer Gemeinde herstellen. Heute würde man das als „Image-Film“ bezeichnen. Bürgermeister Willi Obermüller (Amtszeit in Wannweil 1949 bis 1967, Lebenszeit 1897 bis 1984) ergriff auch diese Gelegenheit. Die Hoffnung, das defizitäre Filmprojekt ließe sich durch das erheben von Eintristgeldern bei der Vorführung vermindern, erfüllte sich leider nicht. Investitionen in kulturelle Dinge lohnen sich langfristig aber doch. Heute sind wir froh an dem 2006 digitalisierten Heimatfilm von Wannweil 1962

Mutter und Vater von Ayse Bouhafa konnten weder lesen  noch schreiben, als sie nach Deutschland kamen.  Beide arbeiteten in der Wannweiler Spinnerei.. Die Fallenbachstraße war ihre „kleine Heimat“. Dort war alles eins, man hat sich gekannt, war vertraut, und füreinander da. Die Tochter übersetzte beim Zeitzeugenabend für ihren Vater Mehmet Türkoglu und ergänzt: „Heute sind wir auch in der Türkei Ausländer“.  Ayse Bouhafa ist 1943 geboren. 1970 heiratete er in der Türkei. Bekannte waren schon in Wannweil. Die Eltern lebten in einem Dorf, wo eigentlich nur Nahrungsmittel ausgetauscht wurden. Schließlich wurde auf einem Büro in Istanbul eine Adresse vermittelt. Bis Nürnberg fuhren sie ohne Sprachkenntnisse mit der Bahn. Der Arbeitgeber war eine Möbelfabrik, wo Arbeits- und Wohnstätte beieinander waren. Nach ein paar Jahren hat sie ein Bekannter nach Wannweil geholt in die Spinnerei. Gastarbeiter sind eigentlich immer mobiler als Deutsche. Wegen besserer Verdienstmöglichkeiten wechseln sie schnell in ein anderes Bundesland. Zuerst hatten sie eine Wohnung an der Pforte der Spinnerei, dann eine Werkswohnung in der Fallenbachstraße. Dort in der Fallenbachstraße waren alle Ausländer wie eine große Familie, wenn sie auch nicht die gleiche Religion hatten. Mutter und Vater haben sich das Lesen und Schreiben selber beigebracht. Jeden Tag haben sie im Zimmer einen Buchstaben aufgehängt und gelernt. Manche deutsche Familien, wie etwa Jutta Ott aus dem Römerweg, gaben auch eine Art Nachhilfe-Unterricht. Familie Bouhafa gehörte zu den letzten Bewohnern in der Werkssiedlung in der Fallenbachstraße, für die im Jahre 2014 eine Neubebauung vorgesehen ist. Im Sommer 2013 lagen die Bebauungspläne im Rathaus Wannweil aus. Ayse Bouhafa beklagte die Kälte zwischen Deutschen und Ausländern. Das bekam er auch beim Einkaufen zu spüren. Metzger  Walter Kern (Jahrgang 1920)  war sehr entgegenkommend. Er verbürgte sich dafür, dass er seine Messer reinigte, wenn er sie für Schweine fleisch benutzt hatte. Bouhafa hatte wohl einen Führerschein, aber kein Auto. Im Sparladen von Glückher wurde eingekauft. Die Waren brachte Herr Glückher dann in die Wohnung. Es gab ja noch keine Supermärkte. Für die anderen Ausländergruppen, etwa Italiener und Kroaten war es einfacher. Sie hatte die gleiche katholische Religion. Sie trafen sich dann auch beim katholischen Gottesdienst wieder, wo sie mit Deutschen auch in Kontakt kamen. Die Kinder der Familie Bouhafa sind alle hier geboren, sie kennen die Türkei nur vom Urlaub.
Heute können die Familienmitglieder der Familie Bouhafa alleine zum Arzt gehen. Bei Deutschen eingeladen werden sie selten. 

Auffallend ist, dass sich zu den  Zeitzeugengesprächen nur türkische Mitbürger gemeldet haben, die es zum Hausbesitzer in Wannweil gebracht haben. Diese sind integrationswillig. Diese Tatsache haben die freien Mitarbeiter von Reutlinger Generalanzeiger und Tübinger Tagblatt natürlich gar nicht erkannt und deshalb darüber auch nicht berichtet.
Der Sportverein Wannweil hat eine große Integrations-Funktion. Auch der Stiefsohn von Zeitzeugenabend-Initiator Petersen lernte beim Fußballspielen türkische Schüler kennen.
Im Rückblick stellt Ayse Bouhafa fest, dass es  seinerzeit sehr mutig war, aus der Türkei in ein fremdes Land zu gehen.

Als Zeitzeuge wieder zu Wort kam der frühere Betriebsleiter Schweizer, der 1970 nach Wannweil kam und 1975 Betriebsleiter wurde. Schweizer wohnte in der „Villa“. Schweizer sprach von den verschiedenen Migrantengruppen, denen die Spinnerei bis 1987 eine berufliche Existenz bot. Bis in die 1930er Jahre kamen die Mädchen oft zu Fuß  aus den umliegenden Dörfern zur Arbeit nach Wannweil. Im Zweiten Weltkrieg waren es die Zwangsarbeiter der Daimler-Filiale. Für diese wurden ab 1944 die Baracken gebaut. Denen folgten ab 1948 die Heimatvertriebenen,. Ab 1955 kamen dann die Ausländer, jetzt zur Unterscheidung vom Dritten Reich „Gastarbeiter“ genannt.
Die deutschen Mitarbeiter wanderten wegen der besseren Verdienstmöglichkeit in die Metallindustrie ab. Schließlich wurde die renommierte Textil-Firma Gminder ja 1964 von Bosch mitsamt dem Geschäftsführer Hans L. Merkle übernommen. Schweizer konnte als Betriebsleiter nicht zu allem ja sagen. Probleme gab es auch immer wieder mit der Vergabe der Werkswohnungen, die Einfachstwohnungen der 1950 er Jahre waren. Diese Wohnungen hatten weder Dusche noch Bad. Aber die Familien waren daran froh. Zur Betriebsdusche gelangte man freitags und samstags nach einem Gang durch den Websaal. Manchmal war von den vielen Benutzern der Abfluss verstopft. Dann musste sich Betriebsleiter Schweizer um dieses Problem kümmern. 

Zeitweise gab es bis zu 6 Nationen in der Spinnerei. Bei 70 italienischen Familien wurden manche Familienprobleme auch importiert, die Schweizer dann schlichten musste.
Ein Vorteil war beim Arbeitsplatz Spinnerei, dass  außer der Werkswohnung Mann und Frau an der gleichen Maschine in Wechselschicht arbeiten konnten. Da nahm man manchen Nachteil, wie etwa die geringere Bezahlung in der Textilindustrie in Kauf. So konnte ein Elternteil immer bei den Kindern anwesend sein. 

Heute ist es Geschichte, dass Wannweil einmal so viele Arbeitsplätze bieten konnte.

Botho Walldorf

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Richtigstellung:
Willy Obermüller, 22.05.1899 - 14.07.1984, Amtszeit 1949 bis Dez. 1966.
w.k.

Anonym hat gesagt…

Ist Ayse nicht ein weiblicher Vorname?