Montag, 22. November 2010

Mit Hauben und "Höllenfenstern"

LEUTE - Claudia Bensaif und Jeanette Zwirner vom Reitverein Wannweil sind begeistert von der Mode des Mittelalters

VON MARGRET RILLING

Ritter, Rösser, Herolde, Gaukler, fahrendes Volk: Die Zeit des Minnesangs und der Markentender fasziniert die Menschen. Der wachsende Zustrom zu den Mittelaltermärkten im ganzen Land belegt dies. Auch die Kleinsten sind begeistert: "Mama, da reiten zwei Prinzessinnen", hat neulich ein Kind in der Wannweiler Marienstraße begeistert gerufen.



Hoch zu Ross und im Mittelalter-Look in und um Wannweil herum: Claudia Bensaif (links) und Jeanette Zwirner, beide Mitglieder im örtlichen Reitverein.

"Sind die aber schön!" Die Mutter war verblüfft: "Es ist doch wohl noch nicht Fasching." Klar, die närrische Jahreszeit ist noch lang nicht angebrochen. Hoffentlich kommt erst noch ein Altweibersommer.

Doch die beiden Frauen, die so gern im mittelalterlichen Outfit durch Wannweil und um Wannweil herumreiten, verkleiden sich eben nicht nur in Karnevalszeiten als Prinzessin, als Hofdame oder Burgfräulein: Jeanette Zwirner und Claudia Bensaif, Mitglieder im Reitverein Wannweil, sind das ganze Jahr über begeistert vom Mittelalter und seiner Mode. "Wir machen damit einen Traum für uns wahr", sagen die beiden Reiterinnen, die sich bei einem Ferienprogramm-Angebot der Gemeinde kennengelernt haben, an dem auch ihre Kinder teilgenommen hatten. Und die dabei auch ins Gespräch über ihr gemeinsames Faible, das Mittelalter kamen. Auch bei ihren eigenen Kindern haben sie längst die Begeisterung für diese Zeit geweckt.

Authentische Kleidung
Natürlich auch die Begeisterung für Pferde. »Was wir im Gespräch mit Kindern immer klar machen, ist, dass der richtige Umgang mit Pferden wichtig ist«, betonen Jeanette Zwirner und Claudia Bensaif: "Pferde sind Lebewesen und keine Fahrräder mit Haaren." Von Beruf ist Jeanette Zwirner Industriekauffrau, Claudia Benasaif Tierarzthelferin. Jeanette Zwirner: "Als alleinerziehende Mutter hätte ich keine Chance, mir Gewänder im Mittelalter-Look zu kaufen." Zudem sei vieles, das angeboten wird, zu teuer und außerdem nicht authentisch. So stand der Entschluss der beiden Mittelalter-Fans schnell fest: "Wir schneidern selbst."

Intensiv beschäftigten sich die beiden Frauen mit der Mode des Mittelalters, in einer Zeit, als man mit einem Blick sah, ob der Träger zum Bauern, zum Bürger- oder zum Adelsstand gehörte. "Das möchten wir schon alles authentisch nachschneidern", sagt Claudia Bensaif. Inzwischen können sie ganze Vorträge halten über Begriffe wie zum Beispiel "Chaperon" (eindrucksvolle Wulsthaube von anno dazumal) über die mit verstärktem Schleier versehene "Schmetterlingshaube", über den "Surkot", das hüftlange Wams mit geschlitzten Hängeärmeln, den Bruch, sogenannte Beinlinge für die Herren der Schöpfung, die mit Bändern am Wams festgebunden wurden oder über die sogenannten »Höllenfenster«, eine in ihrer Zeit sehr beliebte Damenmode.

"Höllenfenster nannte man im Mittelalter Gewänder, die an der Seite von der Achsel bis zur Hüfte offen waren, ein wärmendes Oberkleid, das auf das Unterkleid in manchen Augen, wohl vor allem des Klerus, zu reizvolle Ausblicke auf das Unterkleid ermöglichte", so Claudia Bensaif. Jedenfalls ist zu ahnen, wer den Ausdruck "Höllenfenster" in Umlauf gebracht hat. Sicher wohl nicht der bekannte Prediger Abraham A Sancta Clara alias Johann Ulrich Megerle, in dessen Zeit war "Höllenfenster"« schon längst ein fester Begriff. Aber Abraham A Sancta Clara kämpfte ebenfalls gegen seiner Meinung zu frivol auftretende und bekleidete Damen an.

Reizvoller Blick aufs Darunter
Einmal wetterte er von der Kanzel an einem Fürstenhof herab: "Die Damen am Hof sind nicht wert, dass sie der Teufel holt." Das ging der Obrigkeit dann doch zu weit, er musste widerrufen. Daraufhin stellte er sich auf die Kanzel und erklärte: »Die Damen am Hof sind doch wert, dass sie der Teufel holt.« Charmant zu sein geht anders. Einer unserer Zeitgenossen, ein Stelzenläufer auf einem Mittelaltermarkt war auch nicht gerade charmant. Der sagte zu der gelb gewandeten Claudia Bensaif: "Hallo meine schöne Hübschnerin". Claudia Bensaif: "Er spielte da offensichtlich darauf an, dass im Mittelalter ein gelbes Tüchle ein sichtbares Zeichen war, dass die Trägerin einem gewissen Gewerbe nach ging." Man habe diese "Hübschnerinnen" genannt. Klar, dass die Ehefrau und Mutter von zwei Kindern dem sie so anredenden Stelzenläufer energisch widersprochen hat. Aber klar: Es war im Scherz gesagt.

Am liebsten Heimarbeit
Humorvoll hatte auch der Vorsitzende des Reitvereins Wannweil, Stefan Wagner, beim Anblick von Jeanette Zwirner reagiert, als diese fantasievoll in Mittelalter-Gelb verkleidet mit Langbogen und den typisch riesigen Ohren - aus Latex - vor ihm stand, ein wahrhaft märchenhafter Anblick. Stefan Wagner hatte jedoch andere Assoziationen dabei. Er begrüßte sie lachend mit "Hallo Mr. Spock." Doch von dem hatte man im Mittelalter noch keine Ahnung. Es sei denn, das Raumschiff Enterprise hat in einer Zeitreise auch mal Burgen und Schlösser hier im Ländle angesteuert. Was Jeanette Zwirner und Claudia Bensaif ansteuern: »Wir möchten wegen den Kindern am liebsten zu Hause arbeiten, Familien- mit Erwerbsarbeit bestmöglichst verbinden. "Deshalb hoffen die beiden Hobbyschneiderinnen, einmal eine kleine Schneider-Werkstatt zu eröffnen, wollen auf Bestellung auch maßgeschneidertes Mittelalter-Outfit für Damen und Herren liefern. Auch spätere Zeiten wie die Renaissance, das Barock oder der Empire-Stil interessieren sie zunehmend. »Bisher ist unser Fundus allerdings noch sehr beschränkt, wir müssen noch fleißig und kreativ weiter schneidern, um damit auch auf Märkte gehen zu können", sagen sie.

Was sie auch betonen: Bei den meisten Mittelalter-Märkten im Ländle und ums Ländle herum sei der Eintrittspreis im mittelalterlichen Outfit stark reduziert. Wäre schon toll, wenn da auch manche Besucherinnen und Besucher im Mittelalter-Look erscheinen würden. Die Illusion einer Zeitreise wäre dann geradezu perfekt.

veröffentlicht im GEA am 2. September 2010

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